Antonia

Eine rechtswidrige Herausnahme mit schwerwiegenden Folgen

Wenn ein Kind nach acht Jahren aus seiner Familie herausgenommen wird, muss etwas sehr schwerwiegendes vorgefallen sein. Es muss die Gefahr einer schweren Kindeswohlgefährdung bestehen, wenn eine solche tiefgreifende Maßnahme mit weitreichenden Folgen gerechtfertigt sein soll. Dies gilt selbstverständlich auch für ein Pflegekind.

Antonia, etwa zehn Jahre alt, befand sich bereits seit acht Jahren in ihrer Pflegefamilie. In den jährlich durchgeführten Hilfeplangesprächen fand sich in eindrucksvoll eindeutiger und immer wiederkehrender Weise die Darstellung, wie gut das Kind in die Pflegefamilie integriert sei und dass eine dauerhafte Perspektive des Kindes nur im Verbleib in der Pflegefamilie liegen könne. Die elterliche Sorge war entzogen, ein Amtsvormund beim Jugendamt war eingesetzt. Als die Erziehungsfähigkeit der Herkunftsfamilie wiederhergestellt war, forderte diese Umgang und schließlich auch die Rückkehr des Kindes.

Das Jugendamt wies zunächst die Forderung nach Rückkehr zurück, setzte sich aber für mehr Umgang ein. Die Umgangskontakte verliefen zum Teil unproblematisch, zum Teil problematisch, nämlich dann, wenn sie ausgeweitet wurden. Durch die Ausweitung der Umgangskontakte entstanden bei allen Beteiligten Unsicherheiten darüber, ob diese nur der Aufrechterhaltung der Beziehungen zu den Herkunftseltern dienen sollten oder der Vorbereitung einer Rückkehr. Hier wäre eine eindeutige Klärung gefragt gewesen.

Die Streitigkeiten eskalierten; es kam zu einen Rechtsstreit vor dem Amtsgericht. Es wurde ein Gutachter beauftragt, der etwas außergewöhnliches bestimmte: das Kind sollte in seine Klinik überwiesen werden, damit dort die Begutachtung durchgeführt werden könne. Dies geschah dann auch. Das Kind wurde während der Schulzeit in die Klinik überwiesen (obwohl es nicht krank war) und stellte dort fest, dass es sich nicht frei bewegen konnte. Nach dreieinhalb Wochen (!) der stationären Unterbringung durfte das Kind erstmalig zu einem Wochenendbesuch nach Hause. Am Ende des Wochenendes weigerte es sich, in die Klinik zurückzugehen.

Der in dieser Situation von den Pflegeeltern beauftragte Anwalt lehnte zunächst einmal den Gutachter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, da dessen Verfahrensweise derart vom Üblichen abwich, dass nur sachfremde Erwägungen zu einer solchen Verfahrensweise geführt haben konnten. In weit über tausend Fällen, die der Unterzeichner in den letzten 30 Jahren bearbeitet hat, gab es lediglich einen einzigen Fall, in dem ein Kind zwecks Begutachtung stationär untergebracht werden musste. In diesem Fall war es allerdings auch durch eine besondere Konstellation dringend notwendig. Im vorliegenden Fall bestand eine solche Notwendigkeit in keiner Weise. Der Gutachter brach nach dem Befangenheitsantrag die Untersuchung ab. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass er während des dreiwöchigen Aufenthalts des Kindes in seiner Klinik nicht eine einzige Zeile zu Papier gebracht hatte. Vor solchen Gutachtern muss gewarnt werden.

Das Jugendamt beklagte, dass der Umgang nicht funktioniere, die Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen des Kindes seien unklar, in jedem Falle aber wohl der Pflegefamilie zuzuschreiben, die an dem Kind klammern würde, was mit dem Kindeswohl in keiner Weise zu vereinbaren sei. Die vom Gericht eingesetzte Verfahrensbeiständin gerierte sich als Gutachterin und bemühte sich, kinderpsychologische Kenntnisse anzuwenden, was allerdings nicht ihre Aufgabe war. Eine Verfahrensbeiständin hat den Kindeswillen zu ermitteln und zu prüfen, ob der so geäußerte Wille tatsächlich der Wille des Kindes ist, also nicht einstudiert oder aufgedrängt ist.

Im Falle der zehnjährigen Antonia hielt ein Familiengericht auf Antrag des Amtsvormunds eine sofortige Herausnahme des Kindes in dieser Situation für erforderlich, denn:

  • »Insbesondere die Pflegemutter bindet das Kind in einer Art und Weise an sich, dass hier eine Abhängigkeit des Kindes erzeugt wird. Die Pflegemutter ist erziehungsungeeignet.«

    Und weiter:

    »Um der Kindeswohlgefährdung entgegenzuwirken, war die Herausgabe des Kindes anzuordnen. Nur durch diese Maßnahme kann das von der Pflegemutter erzeugte Abhängigkeitsverhältnis aufgebrochen werden und eine gesunde Entwicklung des Kindes gefördert werden. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass das Kind durch diese Entscheidung seine sozialen Eltern verlieren wird.«

Dies sind die Kernsätze aus der Entscheidungsbegründung des Familiengerichts, mit dem nicht nur allgemein die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie, sondern insbesondere auch der Beschluss zur Gewaltanwendung bei der Herausgabe begründet wird:

  • »Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, gegen die Pflegeeltern notfalls Gewalt anzuwenden und sich dabei zu seiner Unterstützung der Hilfe von Polizeibeamten zu bedienen.«

Als der Amtsvormund am darauf folgenden Tag die Herausnahme mit Hilfe der Polizei umsetzen wollte, erging folgender ergänzender Beschluss:

  • »Der Beschluss wird dahingehend ergänzt, dass den zuständigen Gerichtsvollzieher gestattet wird, zum Zwecke der Wegnahme auch Gewalt gegen das Kind anzuwenden. Gründe: Der zuständige Gerichtsvollzieher hat telefonisch mitgeteilt, dass er im Moment in der Wohnung der Pflegeeltern sei. Das Kind klammere sich an die Pflegemutter. Vertreter des Jugendamtes und weibliche Polizeibeamte seien anwesend. Man müsse das Kind gewaltsam in das bereitstehende Fahrzeug verbringen. Da die gerichtliche Anordnung nur durch die Anwendung unmittelbarer körperlicher Gewalt durchgesetzt werden kann, war hier für die Genehmigung zu erteilen.«

Das Kind wurde Ende März 2006 auf diesem Wege herausgenommen und in eine Jugendhilfeeinrichtung verbracht, wo es bis Anfang August 2006 verblieb.

Man fragt sich hier, ob dem Gericht alle Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit abhanden gekommen sind.

Nach einer umfangreich begründeten Beschwerde des Rechtsanwalts der Pflegeeltern gegen den Beschluss und seine Umsetzung und nach Anhörung des Kindes hat das Oberlandesgericht Stuttgart eine einstweilige Anordnung erlassen:

    1. Der Vormund ist verpflichtet, das Kind in den Haushalt der Pflegeeltern zurückzuführen.
    2. Das Kind bleibt bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei den Pflegeeltern.«

Nach Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens hat das Oberlandesgericht Stuttgart in der Hauptsache drei Monate später entschieden:

  • »Das Kind verbleibt bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres bei den Pflegeeltern.«

Es folgt in dem Beschluss noch eine Umgangsregelung für die Herkunftsfamilie.

Das Oberlandesgericht begründet seinen Beschluss damit, dass

  • »ein Wechsel des Kindes von den Pflegeeltern zu seinen Eltern mit großer Wahrscheinlichkeit eine schwere und nachhaltige Schädigung des Kindes in seelischer Hinsicht bewirken würde. «

Es stützt diese Überzeugung auf das neue mündlich erläuterte Sachverständigengutachten. Das Kind habe keine gleichstarken Bindungen zu zwei Elternpaaren, sondern starke Bindungen zu den Pflegeeltern, bei denen es seit neun Jahren lebe und darüber hinaus leibliche Eltern, zu denen es jetzt Bindungen mittels eines regelmäßigen Kontakts aufbauen könne.

Die starken Beziehungsgefühle zwischen Pflegeeltern und Kind seien für Antonia wichtig. Nach entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten seien nämlich die Pflegeeltern für Antonia die »leiblichen Eltern«, weshalb sie auch eine eindeutige Entscheidung für sich und ihren Lebensmittelpunkt benötige. Das Oberlandesgericht sei davon überzeugt, dass das Kind gerade jetzt die Sicherheit benötige, bei den Pflegeeltern bleiben zu dürfen. Ohne diese Eindeutigkeit sei das Kind für sich in eine außerordentlich schwierige Situation geraten.

Das Gericht teile die Einschätzung des Sachverständigen, dass die Rückführung des Kindes (zu den Herkunftseltern) nur unter einer unmittelbaren schwerwiegenden Beeinträchtigung des emotionalen Erlebens möglich erscheine und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung des Kindeswohls zur Folge hätte.

Dabei würde auch der Wille des Kindes missachtet und gebrochen werden. Das Kind habe sich bei beiden Anhörungen gegenüber dem Gericht eindeutig erklärt, dass es zu den Pflegeeltern zurückkehren möchte. Dies habe es auch dem Sachverständigen gegenüber eindeutig und sehr ernsthaft vorgebracht. Das Kind habe trotz des mehrwöchigen Aufenthalts in der Jugendhilfeeinrichtung, der mit einem vollständigen Kontaktabbruch zu den Pflegeeltern verbunden gewesen sei, an dem bereits bei der ersten Anhörung geäußerten Willen und Wunsch nach Rückkehr zu den Pflegeeltern festgehalten.

Die Pflegeeltern seien auch erziehungsgeeignet. Nach Feststellungen des Sachverständigen hätten sich keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Erziehungs- oder Förderkompetenz der Pflegeeltern ergeben. Der große Einsatz der Pflegeeltern für die Rückkehr des Kindes in ihren Haushalt sei aber auch Ausdruck ihrer Fürsorge und Verantwortung für das Kind.

Auch auf der Beziehungsebene Pflegeeltern / Kind ergäben sich nach den Feststellungen des Sachverständigen keine pathologischen Befunde. Letztlich sei auch Pflegeeltern zuzugestehen, dass die Schwächen haben und in der Erziehung von Kindern Fehler machen. Dies mache sie aber nicht zwangsläufig erziehungsungeeignet.

Die Abwägung zwischen Elternrecht und Kindeswohl ergäbe demnach, dass das Elternrecht zurückstehen müsse. Zwar führe das Verbleiben des Kindes bei den Pflegeeltern zu einer weiteren Verfestigung dieser Situation. Dies sei jedoch im Hinblick auf das Kindeswohl hinzunehmen. Nach der Vollendung des 14. Lebensjahres solle das Kind die Möglichkeit haben, sich selbst zu entscheiden. Das Gericht sei mit dem Sachverständigen der Überzeugung, dass das Kind dann in der Lage sei, eigenständig und eigenverantwortlich zu entscheiden, wo sein Lebensmittelpunkt sein solle.

Eine Sorgerechtsübertragung auf die leiblichen Eltern des Kindes scheide derzeit aus. Dies seien allein in der Person des Kindes liegende Gründe, die sowohl die Auflösung des Pflegeverhältnisses zum jetzigen Zeitpunkt verböten als auch eine Sorgerechtsübertragung auf die Eltern ausschlössen Die Eltern hätten nicht den Zugang zum Kind, der für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge notwendig sei. Ungeachtet der Frage, worauf dies beruhe, sei hier entscheidend, dass diese Situation bestehe.

II.

Der Fall wirft verschiedene Fragen auf:
Zum einen stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass ein Jugendamt, eine Verfahrenspflegerin und ein Familiengericht sich derart in ihrer Einschätzung vergreifen.

Die Frage kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Wir müssen aber dennoch zur Kenntnis nehmen, dass solche groben Fehleinschätzungen vorkommen. Zugleich zeigt dieser Fall aber auch, dass es durchaus Chancen gibt, sich erfolgreich dagegen zu wehren.

Zum anderen stellt sich die Frage, wie es den Pflegeeltern gelingen konnte, die Kraft aufzubringen, sich so für das Kindeswohl einzusetzen, dass sich am Ende dieser Erfolg einstellte.

Dazu gehört zunächst einmal die eigene feste Überzeugung der Pflegeeltern, für das Kind das Richtige zu tun und Schaden von ihm abwenden zu wollen. Zugleich gehört dazu auch eine sichere Bindung des Kindes an die Pflegefamilie, die selbst durch einen Kontaktabbruch von vier Monaten nicht vernichtet werden kann, als auch die Fähigkeit des Kindes, seinen Willen und seine Bindungen klar zum Ausdruck zu bringen.

Weiterhin gehört dazu die Unterstützung durch das soziale Umfeld und den Pflegeelternverband sowie seiner einzelnen Organe und Vorstandsmitglieder. Diese war im vorliegenden Fall durch das außerordentliche Engagement der Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes der Pflege- und Adoptiveltern gegeben, die die Familie sowohl auf politischer Ebene aber auch bis hin zu dem Erscheinen bei dem Gerichtstermin unterstützt hat.

Schließlich bedarf es eines in diesem speziellen Bereich fachkundigen Rechtsanwalts, der das vorhandene Engagement aufnimmt und sich in kompetenter Weise einsetzt (und von den Pflegeeltern auch bezahlt werden kann und muss). Dazu gehört auch, dass er bereit und in der Lage ist, innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Schriftsätzen, Beschwerden, Anträgen etc. zu formulieren, um das Ziel zu erreichen.

Im vorliegenden Fall waren alle notwendigen und hinreichenden Komponenten erfüllt.

III.

Die Angelegenheit wirft aber auch eine generelle Frage auf:

Ist der Status der Pflegekinder mit dem Kindeswohl vereinbar?

Das Pflegekindschaftsverhältnis ist gesetzlich nach wie vor als „Institution auf Zeit“ angelegt. In der Realität verbleiben jedoch über 80% der Pflegekinder bis zur Volljährigkeit in der Pflegefamilie - und damit meist in einem dauerhaften Unsicherheitsstatus, der mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist.

Wenn der Status nicht wenigstens durch Übernahme der Vormundschaft durch die Pflegefamilie abgesichert ist, gibt es immer wieder auch nach langjährigen Aufenthalten und entsprechenden Bindungen der Kinder Streitigkeiten um Herausnahme bzw. Verbleib der Kinder in der Pflegefamilie.

Eine derartige dauerhafte Unsicherheit ist mit dem Kindeswohl nicht vereinbar.

Im SGB VIII/KJHG hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die gerade diese mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbarende dauerhafte Unsicherheit vermeiden soll: § 37 Abs. 1 S. 4 KJHG verlangt die Festschreibung einer dauerhaften Perspektive, wenn es innerhalb eines für das Kindeswohl erträglichen Zeitraums nicht gelungen ist, die Bedingungen in der Herkunftsfamilie so zu verändern, dass eine ungefährdete Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie möglich ist.

Für diese jugendhilferechtliche sinnvolle Regelung fehlt leider die zivilrechtliche Umsetzung. Ein engagierter Familienrichter, der diese Vorgabe des Gesetzgebers im Interesse des Kindeswohls umsetzen möchte, sieht sich daran gehindert, weil der Gesetzgeber ihm die zivilrechtlichen Möglichkeiten der Umsetzung nicht zur Verfügung gestellt hat.

In unserer seit Jahrzehnten entwickelten Rechtsordnung, insbesondere der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht in Konfliktfällen zwischen Herkunftseltern, Pflegeeltern und Kindern das Kindeswohl (und nicht das Elternrecht) als entscheidender Faktor im Zentrum der Betrachtung. Wenn das Kindeswohl es erfordert, hat das Elternrecht zurückzutreten. Man muss sich auch in diesem Fall vergegenwärtigen, wie die Position der Pflegekinder tatsächlich ausgestaltet ist.

Pflegekinder haben den labilsten, schwächsten, unbeständigsten, perspektivisch unklarsten und unsichersten Status, der unserer Rechtsordnung im Kindschaftsrecht bekannt ist.  

Es handelt sich bei dieser Unsicherheit um das strukturell angelegte Grundproblem des Pflegekindes. Die intensive Befassung mit dieser Problematik drängt die Frage immer mehr in den Vordergrund, ob ganz grundsätzlich der Status eines Pflegekindes, wenn er denn über eine Kurzzeitpflege hinausgeht, durch die strukturell bedingte Unsicherheit überhaupt mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

Aus der ungelösten Diskrepanz von für das Kindeswohl notwendiger dauerhaften Perspektive einerseits und Pflegekindstatus als Institution auf Zeit andererseits folgen Rechtsstreitigkeiten um Herausgabeansprüche von Herkunftseltern und exzessive Ausweitungen von Umgangskontakten bei Kindern, die sich bereits 4, 6 oder 8 Jahre lang in Pflegefamilien befinden und deren dort gelungene Sozialisation immer wieder in Frage gestellt wird, meist mit sehr negativen Folgen für die Entwicklung des Kindes.

Hinzu kommt die dem Kindeswohl außerordentlich abträgliche dauerhafte Verstrickung des Kindes in die Auseinandersetzung zwischen den Pflegeeltern und Herkunftseltern um erhöhte Umgangsfrequenzen sowie Rückführung in die Herkunftsfamilie.

Keinem leiblichen Kind oder Adoptivkind mutet man derartige Unsicherheiten zu:
Stets drohen den Pflegekindern Veränderungen, die ihren Status als Pflegekinder grundlegend in Frage stellen oder schwer beeinträchtigen, denn diese Veränderungen sind regelmäßig mit Beziehungsabbrüchen verbunden.

Leibliche Kinder und ebenso Adoptivkinder im Vergleich dazu sind im Kindschaftsrecht umfassend abgesichert, sodass eine existenzielle Veränderung ihres Daseins in Form einer Herausnahme aus der Herkunftsfamilie oder Adoptivfamilie nur in Ausnahmefällen, nämlich dann möglich sein soll, wenn es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt, etwa bei schwerer Kindeswohlgefährdung (§§ 1666, 1666a BGB).

Einen solchen Schutz hat der Gesetzgeber den Pflegekindern und der Pflegefamilie nicht zur Verfügung gestellt. Dies ist umso problematischer, weil alle Pflegekinder ohnehin schon mindestens einmal - durch Herausnahme, Weggabe, Verlassenwerden - Unsicherheit und Beziehungsabbrüche erfahren mussten und schon deshalb umso mehr auf die Erfahrung von Sicherheit dringend angewiesen sind. Dies wird vielfach in der Praxis übersehen, übergangen, ignoriert.

Das Pflegekind kann einerseits nicht in Sicherheit bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen, weil diese nicht vorhanden, nicht in der Lage, nicht bereit oder nicht geeignet sind, es zu betreuen und zu versorgen.

Es kann andererseits aber auch nicht die Sicherheit von Adoptivkindern erreichen, die ausserhalb der Herkunftsfamilie die Sicherheit haben, durch die Adoption bei ihren Adoptiveltern in dem gleichen Rechtsstatus wie leibliche Kinder leben zu können. Adoptionsvoraussetzungen (Einwilligungen, Ersetzung von Einwilligungen) liegen bei Pflegekindern im Regelfall nicht vor.

Das Pflegekind bekommt aber auch noch nicht einmal die Sicherheit, als Pflegekind in der Pflegefamilie sicher und dauerhaft bleiben zu können.

Auch die Pflegefamilie kann jederzeit durch Aufkündigung ihrer Bereitschaft, das Kind weiterhin in der Familie aufzuziehen, den Status des Pflegekindes beenden. Es bleibt dann regelmäßig nur die Perspektive der Heimunterbringung. Besonders ältere Kinder sind nur noch schwer in die nächste Pflegefamilie zu integrieren. Diese Fälle sind zwar selten, aber jederzeit möglich.

Nicht selten droht auch noch ein durch das Jugendamt/Amtsvormund, Einzelvormund oder sorgeberechtigten Herkunftseltern veranlasster Wechsel von einer Pflegefamilie in eine andere.

Stets droht die Rückführung, die Heimunterbringung, der Wechsel in eine andere Pflegefamilie oder die Adoption seinen Status zu verändern, ohne dass diese Veränderung aus Sicht des Kindes die bessere Perspektive als der Verbleib in der Pflegefamilie ist.

So besonders unsicher ist dieser Status deshalb, weil nach der Gesetzeslage Pflegeverhältnisse zu jedem beliebigen Zeitpunkt aufgelöst werden können. Der Gesetzgeber hat keine Regelung geschaffen, der den Status des Pflegekindes bis in die Volljährigkeit hinein absichert, obwohl über 80% der Pflegekinder bis zur Volljährigkeit hinein in der Pflegefamilie bleiben. Diese Realität ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Pflegekinder haben somit fünf denkbare Perspektiven:

  1. Verbleib in der Pflegefamilie
  2. Rückführung in die Herkunftsfamilie
  3. Heimunterbringung
  4. Adoption
  5. Wechsel in eine andere Pflegefamilie.

Dieser Status der Unsicherheit ist generell mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Die Situation der Pflegekinder muss dadurch verbessert werden, dass die Vorschrift des § 37 Abs. 1 S. 4 KJHG eine zivilrechtliche Umsetzung im BGB erfährt und damit ein Instrumentarium zur Verfügung gestellt wird, welches die Schaffung einer dauerhaften Perspektive für Pflegekinder in den Fällen ermöglicht, in denen es angebracht ist.

Die Notwendigkeit dafür zeigt auch und gerade der vorliegende Fall von Antonia.

Antonia ist heute volljährig. Sie hat bereits erwogen, das Jugendamt wegen der damaligen Vorkommnisse auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen.